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Diabetes

Mein Leben mit Diabetes

Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, habe ich eine große Konstante, die mich begleitet. Krankheit lautet die Konstante. In unserer Gesellschaft wird Krankheit oft negativ gesehen, denn wir leben alle im hedonistischen Gedanken, ein Leben in absoluter Gesundheit zu leben.

Das ist natürlich eine Utopie, denn das Konzept von Gesundheit ist eine Utopie, an die ich durchaus auch gerne glaube. Aber sind wir mal ehrlich, unser Körper kämpft tagtäglich damit, sich vor Viren, ungesunden Bakterien, Krebszellen und anderen negativen Einflüssen zu schützen. Die Ying-und-Yang-Philosophie trifft doch vielmehr den Zustand, in dem wir uns alle tagtäglich befinden. Ich liebe das Konzept der Homöostase, weil es mir, als ich es erlebt habe, viel Sicherheit geschenkt hat.

Ich wurde bereits mit einem Herzfehler geboren. Meine Kindheit verbrachte ich häufig in der Kinderklinik mit diversen Krankheiten. Ich erinnere mich daran, wie meine Mutter und ältere Schwester mich viele Male in die Kinderklinik gebracht haben, und nach der Aufnahme dann verlassen mussten. In den 70er Jahren war es leider nicht möglich, dass die Eltern bei den Kindern in einem Eltern-Kind-Zimmer zusammen sein konnten. Natürlich wollte ich nicht alleine bei fremden Menschen bleiben, die mir dann auch noch wehtun mussten, um mir zu helfen. Aber das habe ich als Kind nicht verstanden. Muss man das überhaupt Verstehen?

Früh habe ich einen Schutzmechanismus lernen müssen, der mir geholfen hat, diese Situationen gut zu überstehen. Während ich in meinem Gitterbett lag, habe ich mir vorgestellt, woanders zu sein. Ich habe mir eine zweite, gedankliche Realität aufgebaut, in der ich mich wohl fühlen konnte. So habe ich gelernt, meine Ängste zu überwinden und mir vor allem eines immer zu erhalten: Hoffnung und Optimismus, dass es besser wird???

Mit elf Jahren, am 26. August 1986 bekam ich dann die Diagnose Diabetes mellitus Typ I. Puff, da, schlagartig in diesem Moment, war meine Kindheit vorbei. Ich wusste sofort, dass ich von diesem Moment an ein ganz anderes Leben als alle anderen um mich herum führen musste.

Es folgten viele Jahre, in denen ich mich abkämpfte, mit Diabetes klarzukommen und Diabetes als einen Teil von mir zu akzeptieren. Ich darf behaupten, dass ich ein intelligenter Mensch bin und ich denke, dass ich einen Großteil meiner Intelligenz in der Tat meinem Diabetes verdanke.

Losgelöst von der kindlichen Sicht auf die Welt, habe ich gelernt, die Realität zu analysieren, Muster zu erkennen, Gefahren abzuschätzen und so viel Wissen, wie ich nur konnte, in mich aufzusaugen. Was mir nicht bewusst war, ist, dass meine Fähigkeit, mir meine Welt schön zu denken, langsam, aber stetig verloren ging. Ich habe den Zynismus der Erwachsenen beim Lernen schnell aufgenommen und habe, so aus heutiger Sicht, mein Kindsein verlernt. Ich habe es heute wieder gefunden❤️

Die Teenager-Jahre waren eine große Herausforderung, denn wie für uns alle ist die Pubertät eine aufreibende Zeit. Jedes Mal, wenn ich unbewusst versuchte, mich von meinem Diabetes zu lösen, wurde ich durch die Realität eingeholt und von ihr eingesperrt, weil es geht leider nicht, sich von seinem Körper zu lösen.

Erst in meinen 20ern habe ich gelernt, meinen Diabetes anzunehmen. Aber ich hatte verlernt, mir zu Vertrauen, denn ich wurde zu einem Kontrolljunkie, der stets versucht, alles in meinem unter Kontrolle halten zu wollen, was natürlich eine Illusion ist. Somit war es jedes Mal ein Rückschlag, als mir bewusst wurde, dass ich gar nichts unter Kontrolle hatte. Weder meinen Diabetes noch alles andere in meinem Leben.

Seit September 2018 loope ich. Wenn ihr mehr zum Loopen erfahren wollt, schaut mal auf der Seite luckyloop.koeln vorbei. Ganz uneigennützig, da ich mit Caro und der Lucky-Loop-Gruppe diese Seite betreibe???

Warum ist das Loopen so wichtig für mich? Es hat mir gezeigt, dass Diabetes eine sehr komplexe Erkrankung ist, die den ganzen Körper beeinflusst. Ich spritze mir seit 1986 ein Hormon. Hormone interagieren im Körper miteinander, so dass ich nun weiß, dass Diabetes damit zu vergleichen ist, einen Drachen zu reiten (Lest mal den Artikel auf luckyloop.koeln).

Wie gesagt, mir war klar, was zu machen ist. Ich habe aber nie verstanden, warum ich manchmal wirklich total in eine Hypoglykämie abgerutscht bin und manchmal nicht. Bevor es die kontinuierliche Zuckermesseung (CGM) gab, sind alle Diabetiker im Blindflug geflogen. Ich habe 5-6 mal pro Tag meinen Zucker gemessen, aber das sind nur punktuelle Aussagen. Diese Werte haben nie eine valide Aussage darüber liefern können, wie sich der Zucker entwickeln wird.

Seit der Erfindung von CGMs und dem Loopen verstehe ich die Zusammenhänge ganz gut. Der Bedarf an Insulin ändert sich täglich, er ist keine Konstante. Daher ist mir jetzt klar, warum bei dem einem Mal nach dem Spritzen alles gut ging und beim anderen Mal nicht.

Hypoglykämien, oder Unterzuckerungen, sind ein Stresszustand für das Gehirn, was mich somit jedes Mal stresste. Dabei gibt es unterschiedliche Arten von Unterzuckerungen. Manche, die sanft verlaufen und mich in eine Wattewolke hüllten. Ich saß in einem Gefängnis fest. Ich wusste, ich hatte eine Unterzuckerung, ich wusste, ich hätte essen müssen, aber ich konnte es nicht, weil es auch ein schönes Gefühl war, so unterzuckert zu sein. Ich fühlte mich wie ein Grenzgänger zwischen zwei Dimensionen, und ich habe mir oft gewünscht, in die andere Dimension zu gehen, um diese Realität zu verlassen.

Irgendwann habe ich dann doch die Kraft gefunden, etwas zu essen oder zuckerhaltiges zu trinken, oder es wurde mir Traubenzucker verabreicht, manchmal sogar aufgedrängt, so dass ich dann wieder voll in der Realität zurück war. Dennoch blieb immer der Wunsch, in diese Wattewelt einzutauchen, wogegen sich mein Verstand vehement wehrte, aber im Unterbewussten schreibt sich dieses Wattegefühl fest, so dass es immer wieder unbewusst zum Vorbeischauen einlud.

Dann gibt es dann noch die zweite Art von Unterzuckerung, bei der man sofort bis in die Bewusstlosigkeit abrutscht. Ich wachte dann auf, sah Rettungssanitäter um mich stehen, die mir eine Glukoseinfusion gaben. Das für mich durchaus skurrilste Erlebnis war auf der Toilette. Ich saß auf der Toilette, bin abgerutscht. Als ich dann aufwachte standen sechs Sanitäter in meinem nicht all zu großen Badezimmer und ich dachte. What the fuck, ist das real, was ist hier passiert? Es kostete mich in diesem Moment, als ich begriff, was los war, viel Überwindung aufzustehen und mit den Sanitätern mitzugehen. Würde wohl jedem so gehen, oder? Ich bin heilfroh – egal wie skurril dieses Erlebnis war – dass solche Ereignisse der Vergangenheit angehören.

Was hat sich seit dem Loopen verbessert? Mein gesamter Körper befindet sich mittlerweile in Homöostase – vor allem in Bezug auf meine Hormone – und mir sind die Sachverhalte jetzt klar. Ich scheiterte oft daran, dass ich dachte: du bist zu dumm für Diabetes, also kannst du gar nicht so intelligent sein, wie du denkst.

Bumm, das ist ein großer Dämpfer für das Selbstbewusstsein. Wiederholen sich solche Ereignisse über Jahrzehnte, fällt es mir heute nicht schwer zuzugeben, dass ich zutiefst zerrissen war. Denn ich wusste, dass ich intelligent bin, aber jedes dieser Ereignisse nagte an meinem Selbstbewusstsein, so dass ich anfing, mich selber zu bekämpfen. Und glaubt mir, der Kampf mit sich selbst, ist der Schlimmste, den man führen kann.

Seitdem ich loope, hat dieser Kampf aufgehört und die Zerrissenheit in jeglicher Hinsicht ist weg. Was ich am schönsten finde, ist, dass ich meinen Glauben an mich wieder gefunden habe und wieder meinen Wünschen, Träumen und Idealen – wie in der Kindheit – nachgehen kann. Ich weiß, wer ich bin, was ich kann und dass mich alle diese Erlebnisse nicht geschwächt haben. Sie haben mich stattdessen stark gemacht, weil ich aus jedem einzelnen Erlebnis in meinem Leben etwas gelernt habe.

Ja, da gab es Gutes und Schlechtes, aber was alle Erlebnisse gemeinsam haben: ich habe gelernt. Und jedes Mal, wenn ich was lerne, macht mich das glücklich. So einfach bin ich gestrickt???

Ich habe wieder den Traum, dass es für Diabetes bald eine Heilung geben wird. Aber ich bin zugleich sehr froh, Diabetiker zu sein, weil ich gezwungen war, mich in jeglicher Hinsicht mit mir auseinander zu setzen, um etwas zu lernen.

Das gilt für viele Diabetiker. Wir sind nicht immer einfach, dafür aber sehr vielschichtige, oft auch sehr sensible Menschen, die wissen, wie der Körper funktioniert. Aber natürlich wünsche ich niemanden diese Erfahrungen machen zu müssen, denn Gesundheit ist für mich das höchste Gut im Leben – auch wenn es eine Utopie ist???

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